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Weiterbildung in Dresden 15. - 17. Juli 2016

„Krank! Schwach! Schuldig!"

Die Weiterbildungen des Vereins SSHG Zwickau e.V. haben als Zielgruppe die ehrenamtlichen Gruppensprecher, ihre Stellvertreter, die Vorstandsmitglieder und weitere ausgewählte Mitglieder.

Ziele des Projekts:

Der o.g. Personenkreis soll mit bewährten Techniken und Methoden der Gruppenleitung und der Gesprächsführung im Einzel- bzw. Gruppengespräch vertraut gemacht werden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Suchtselbsthilfe und ihren Kompetenzen als eines der wichtigen Glieder der Kette der Suchtkrankenhilfe. Zufriedene Abstinenz, wie diese erreicht werden und aussehen kann, der Umgang mit Rückfällen und co-abhängigem Verhalten sind ebenso Themen der Weiterbildung wie der informelle Austausch über die neuesten Entwicklungen in der Region, - in den Gruppen und im Verein SSHG Zwickau e.V. selbst.

Teil 1:
Tagesseminar – Vorbereitung des Seminars in Dresden am 10.06.2016

Im Rahmen eines als Rundtisch-Gesprächs konzipierten Tagesseminars am 10.06.2016 in Zwickau wurde durch die Teilnehmer eine Liste von Diskussionsthemen erarbeitet, welche die Basis für das Wochenend-Weiterbildungsseminar darstellen. Anhand dieser Fragen konnten sich die beteiligten 17 Personen gezielt auf die im Juli in Dresden stattfindende Veranstaltung vorbereiten.

Themen:

01 - Alkoholismus = Volkskrankheit oder Randerscheinung?
02 - Abstinentes Leben – süchtiges Verhalten - Abhängigkeit
03 - Co-Abhängigkeit – Auch ein Fall für unsere Gruppen?
04 - „Nachwuchs" für unsere Gruppen – Wie geht das?
05 - Ich als Vorbild – Mein (Sucht-)Wissen für andere
06 - Der kürzeste Weg aus dem Rückfall
07 - „Traditionelle" Süchte und „neue" Suchtformen
08 - Die Selbsthilfegruppe – „Auslaufmodell" oder Zukunft?
09 - Gruppenstunde – was ist erlaubt, was Tabu?
10 - Internet – Smartphone – moderne Medien: Was bringt das der Selbsthilfe der
Zukunft?
11 - Die Selbsthilfe – eine Säule der Suchtbehandlungskette
12 - Die ersten Schritte nach der Therapie
13 - SSHG Zwickau e.V. – gestern, heute, morgen
Teil 2:

Wochenend-Seminar, CCN Conference Center Dresden-Neustadt,
15.07. – 17.07.2016

Die Veranstaltung in Dresden schloss nahtlos an die in Zwickau begonnene Arbeit an und konkretisierte diese um die Erfahrungen der Teilnehmer aus der Arbeit unserer eigenen zehn Selbsthilfegruppen. Herr Kunze als Vereinsvorsitzender verdeutlichte eingangs, dass die Kernkompetenzen unseres Vereins nach wie vor in unseren Erfahrungen mit der Alkoholsucht und der Alkoholkrankheit liegen. In diesem Sinne sollten alle Beteiligten argumentieren, wenn sie an Begegnungen und Veranstaltungen teilnehmen, bei denen es um Sucht und Selbsthilfe geht.

An der Weiterbildung 2016 im Dresdener CNN waren 17 Vereinsmitglieder beteiligt.

Die Fortbildungsveranstaltung begann nach der Anreise am Freitagvormittag mit dem Besuch des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden. Die Dauerausstellung mit ihrem Kernthema „Mensch" war einigen von uns schon bekannt, die Besuche lagen jedoch vielfach schon Jahre zurück. So gab es für Jeden der Teilnehmer etwas Neues zu entdecken, nicht nur den bekannten „Gläsernen Menschen", sondern auch die Stationen „Leben und Sterben", „Essen und Trinken", „Sexualität", „Erinnern – Denken – Lernen" oder – besonders für unsere weiblichen Teilnehmerinnen „Schönheit, Haut und Haar." Die in die Ausstellung integrierten Suchtthemen sind informativ und verständlich, schienen uns allerding nicht immer sehr zeitgemäß. Moderne Suchtformen wie Medien- und Internetsucht oder der Bezug zu modernen psychoaktiven Substanzen schienen uns etwas kurz zu kommen.

Am Samstag und Sonntag berichteten die Teilnehmer/-innen über gemachte Erfahrungen in den eigenen Selbsthilfegruppen, es wurde aber auch über weitere interessierende Fragen diskutiert. Herr Kunze informierte darüber, dass es in der Zwickauer Region neben der Clean-Gruppe (CARITAS) endlich auch eine gut funktionierende SHG im Bereich illegaler Drogen gibt (angesiedelt ebenfalls bei der CARITAS Zwickau) und welche Möglichkeiten sich dadurch auch für unsere Gruppen ergeben, wenn Klienten mit Drogenproblemen bei uns Hilfe suchen.

Es wurde aber auch Stellung zu den im Vorfeld erarbeiteten Fragenkomplexen genommen. (Die markantesten Feststellungen und Gedanken der Diskussionsredner werden weiter unten angefügt.) Der Vortrag einer Ernährungsberaterin gab uns nützliche Anregungen und Informationen rund um das Thema „Nahrungsumstellung nach Ende des Alkohol-Missbrauchs" und rundete am Samstagabend die Diskussion ab.

In den Gesprächsrunden konnten wir feststellen, dass das niedrigschwellige Gesprächs-angebot an Rat- und Hilfesuchende - abgesichert jetzt nur noch durch Freiwillige, da weitere BfD-Kontingente nicht mehr vorhanden sind (es handelt sich hierbei um Öffnungszeiten des Vereins außerhalb der normalen Gruppenzeiten, Montag - Freitag von 10:00 bis 15:00 Uhr) - für unsere Besucher und Gäste in Zwickau und Umgebung nicht nur einmalig ist, sondern auch gerne angenommen und praxisbewährt geworden ist.

Aus den Diskussionsbeiträgen:

Alkohol – eine Volkskrankheit oder doch nur Randerscheinung?

Alkohol ist heute ein legales Suchtmittel, dessen Konsum grundsätzlich auch als Alltags-droge akzeptiert ist („Feierabendbierchen") und in manchen Situationen geradezu gefordert wird („Party machen", „Anstoßen"). Und sie ist eine Massenerscheinung bis in die Mitte der Gesellschaft, beileibe kein Problem von „Randgruppen" oder Minderheiten mehr. Immerhin sind lt. Drogenbericht der Bundesregierung 6 Millionen Menschen in Deutschland alkohol-krank. Damit ist jeder 10. Bürger der Bundesrepublik direkt betroffen, die Dunkelziffer bei den Mit-Betroffenen (Co-Abhängigen) kann nur geschätzt werden und wird selten erwähnt.

Allerdings: Unsere Gesellschaft erwartet, dass ihre Mitglieder (also auch unsere Kinder und Jugendliche) den problemlosen Umgang mit Alkohol regelrecht „gelernt" haben. Andererseits werden Suchtkranke belächelt oder gebrandmarkt, verurteilt oder aus der Öffentlichkeit verwiesen.

Ich als Vorbild – Mein (Sucht-)Wissen für andere

Heute kann ich es kaum noch glauben, wie „beschissen" mein Leben als aktiver Trinker war. Immer weniger Freunde, die Ehe fast vor dem Aus. Auto zu Schrott gefahren – Führerschein weg. Das alles reichte noch nicht – es folgte ein schwerer Sturz, Operation am Kopf... zeitweiser Verlust der Sprache... ...Ich bin dem Tod „von der Schippe gesprungen".

Ein erster Schritt ist einfach nicht so weiterzumachen wie bisher. Innehalten, nachspüren und nachdenken über sich selbst und das eigene Leben.... Geduld haben mit sich selbst, mit eigenen Schwächen und Rückschlägen fällt leichter, wenn man es nicht allein versuchen muss ... Begleiter kann ein Freund sein oder eine vertraute Person, auch ein Therapeut... oder Menschen, die sich in ähnlicher Weise auf den Weg gemacht haben...

Gemeinsam müssen wir immer wieder über das Leben ohne Alkohol und die Probleme, die daraus entstehen, sprechen. Man kann sich gegenseitig Mut machen... für die großen wie die kleinen Probleme des Alltags...

Co-Abhängigkeit - Auch ein Fall für unsere Gruppen?

In unseren Gruppen sind Mit-Betroffene immer gerne willkommen. Beide Partner – der Trinker wie der Nichttrinker – sollen/können sich in der Gruppe ergänzen und mögliche Lösungen bei Problemen Suchtmitteln gemeinsam suchen und finden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass man wieder lernt, Vertrauen zueinander zu finden, dem anderen Partner wieder Verantwortung für die gemeinsame Zukunft zu übergeben und zu überlassen. Dies ist wohl Aufgabe beider Partner, auch der Co-Abhängige lernt sein eigenes Denken und Handeln auf die Prüfwaage zu stellen, Kontrolle und Bevormundung wieder abzubauen.

Der kürzeste Weg aus dem Rückfall

Es ist wohl sicher, dass es kein Patentrezept und auch keinen kurzen Weg aus dem eigenen Rückfall gibt. Zuerst sollte man sich eingestehen, dass man wieder Hilfe braucht, dass man es alleine sicher nicht zurück schaffen wird. Man sollte sich nicht zurückziehen – damit erreicht man eher das Gegenteil dessen, was man sich vorgenommen hat. Wichtig scheint eine Vertrauensperson, der man alles erzählen kann und die keine Schuldzuweisungen macht (dass ein Rückfall zur Suchtkrankheit gehört, ist allgemein bekannt). Die Selbsthilfegruppe bietet sich da regelrecht an – haben doch alle hier eigene Erfahrungen gemacht.

Jeder Mensch ist individuell und einzigartig, jeder hat seine eigenen Stärken und Schwächen. Man muss selbst alkoholfrei leben wollen – das ist das A und O. Alle anderen können „nur helfen" dabei, es auch zu werden und zu bleiben.

Die Selbsthilfe – eine Säule der Suchtbehandlungskette

In Deutschland ist von circa 70-100.000 Selbsthilfegruppen mit ca. 3 Millionen Mitgliedern auszugehen. SHGen sind freie, meist lose Zusammenschlüsse von Betroffenen, Angehörigen und Freunden in Gruppen. Sie treffen sich zum Erfahrungsaustausch über individuelle Bewältigungsstrategien zu ihren chronischen Erkrankungen, Behinderungen, psychischen Problemen oder Suchterfahrungen. In Zusammenarbeit mit Krankenhäusern und Reha-Kliniken können sie die Qualität der medizinischen Versorgung wirksam ergänzen.

Mitglieder von Selbsthilfegruppen wirken aktiv bei der Bewältigung ihrer Erkrankung mit und unterstützen nachgewiesenermaßen die Arbeit von Ärzten, Therapeuten und Pflege-kräften. Sie übernehmen eine wichtige Funktion in der Nachsorge und der Rehabilitation der Patienten. Sie zählen mittlerweile zu den anerkannten Partnern im Gesundheitswesen. In Umfragen geben drei Viertel der Bevölkerung an, dass sie sich im Krankheitsfall an eine Selbsthilfegruppe wenden würden.

„Nachwuchs" für unsere Gruppen – Wie geht das?
Es ist nicht einfach für unsere Gruppen, den benötigten „Nachwuchs" zu bekommen. Schließ-lich ist es immer auch eine persönliche Entscheidung der betroffenen Person, an unseren Gesprächsrunden teilzunehmen. Mitunter spielen hier falsche Vorstellungen, was Selbsthilfe ist und kann, eine große Rolle. Um diesen Personen die Selbsthilfe nahezubringen, ihnen Ängste und Zweifel zu nehmen, machen die Gruppen unseres Vereins Vorstellungen in den Suchtkliniken in Wiesen bei Zwickau und in Rodewisch. Dabei reden sie nicht nur über ihre eigenen Erfahrungen beim Weg aus der Sucht, sondern stellen auch den Verein und die Gruppe als solche sowie deren eigentliche Arbeit vor. Manche Patienten haben auf diese Art den Weg zu uns gefunden. Weitere Möglichkeiten zur „Nachwuchsgewinnung" sind der ständige Kontakt mit den Therapeuten des BTZ Zwickau sowie das Sprechen über Selbsthilfe im Freundes- und Bekanntenkreis.
Internet – Smartphone – moderne Medien: Was bringt das der Selbsthilfe der Zukunft?
Ohne Internet läuft in der heutigen Zeit kaum noch was, in fast jedem Haushalt Deutschlands gibt es einen PC oder ein Smartphone. Bringt dies aber Vorteile für die Zukunft der Selbst-hilfe, und wenn ja: welche?
Ein paar seinen hier genannt: Das Internet ist heute zur unverzichtbaren Informationsquelle für Thematik, Kontaktdaten und Hilfsangebote geworden. Man kann Daten und Fakten zur Krankheit abrufen, Erfahrungsberichte lesen, auch solche in Foren oder Chats austauschen, die passende Selbsthilfegruppe oder Beratungsstelle finden, Termine und Treffen vereinbaren, auch anonym Fragen beantwortet bekommen... sich also informieren und dann darüber nachdenken, wie es weitergeht...
All dies ist wichtig, aber es ersetzt nicht den persönlichen Kontakt mit Betroffenen und damit am Ende mit einer Selbsthilfegruppe ... Anonymität im Internet ist sicher für manch einen nicht schlecht für den ersten Anlauf. Doch jeder wird nach den ersten persönlichen Kontakten in der Gruppe merken, wie wichtig und wertvoll das persönliche Gespräch mit anderen Betroffenen und Angehörigen ist, die einem gegenübersitzen – Menschen mit gleichen oder ähnlichen Problemen. Dieser direkte Kontakt wird für die meisten unverzichtbar, denn hier erfährt man Verständnis und Hilfe, von Angesicht zu Angesicht.
Der SSHG Zwickau e.V. – Gestern – heute - morgen
Das Gestern: Im September 1987 wurde in der Zwickauer Moritzstraße 28 eine Beratungs-stelle für Suchtkranke unter dem Namen „Aldrologisches Zentrum Zwickau" eingerichtet. Beratung, Betreuung und Selbsthilfe bildeten hier eine Einheit. Unter Leitung dieses AZZ (heute als BTZ bekannt, 1994 gegründet) entstand dann ab 1990 ein flächendeckendes Netz von insgesamt 14 SHGen mit ca. 250 Mitgliedern im Großraum Zwickau. Vorwiegend in Eigenleistung durch die Betroffenen und die Mitglieder der Selbsthilfe entstanden ein Zweckbetrieb, eine Ergotherapie-Werkstatt, das Kontakt-Cafe „Intern" und Räumlichkeiten für Betreutes Wohnen.
Im Oktober 2003 trennten sich die Wege von BTZ und Selbsthilfe, der SSHG Zwickau e.V. erblickte das Licht der Welt. In den folgenden Jahren vereinten sich unter diesem Dach zehn SHGen an vier Standorten: Zwickau, Werdau, Crimmitschau und Crinitzberg. „Hilfe zur Selbsthilfe" wird hier gelebt - im Sinne des Wegbereiters der Zwickauer Suchtselbsthilfe, Herrn Dr. Siegfried Mehlhorn, der den Satz prägte: „Abstinenz ist nicht alles, aber ohne Abstinenz ist alles nichts." Wir haben diesen Ausspruch in unseren Vereinsräumen bewahrt – auch für kommende Zeiten.
Das Heute: Wir sind stolz auf das Erreichte und gespannt auf die Zukunft. Das Wichtigste für uns ist und bleibt die Gruppenarbeit. Dazu gehört, dass wir uns in den Kliniken in Wiesen und Rodewisch vorstellen, um Menschen, die noch am Anfang stehen, eine sinnvolle Perspektive zu geben. Wir können unsere Erfahrungen weitergeben und zeigen, dass der Kampf gegen den Alkohol und die damit einhergehenden Probleme auf jeden Fall lohnt. Gemeinsam geht es besser. Es ist immer jemand da zum Reden und Helfen.
Das Morgen: Es wäre schön, wenn es auch in Zukunft so abwechslungsreich weitergeht, wenn viele Alkoholkranke den Weg zu uns finden und unsere Hilfe annehmen, um mit der Krankheit „trocken" umgehen zu können. Und auch, wenn sich noch weitere Vereins-mitglieder ehrenamtlich aktiv einbringen. Wir nehmen die kommenden Herausforderungen an und versuchen, das Beste daraus zu machen.
Beim Abschlussgespräch am Sonntagvormittag konnten alle Teilnehmer nochmals zu der Weiterbildungsveranstaltung Stellung nehmen und über noch vorhandene Probleme sprechen. Als Ergebnis der Veranstaltung schätzen wir ein, dass die geplanten Aus- und Weiter-bildungsziele inhaltlich und teilnehmerorientiert vermittelt werden konnten. Die Schulung in Dresden wurde durch die Beteiligten insgesamt positiv angenommen und trägt dazu bei, die Arbeit in unseren Selbsthilfegruppen weiter zu verbessern und kontinuierlich fortzuführen.

Teil 3:

Tagesseminar – Nachbereitung mit Wiederholung und Erfahrungsaustausch

In Weiterführung der beiden vorangegangenen Weiterbildungsveranstaltungen wurde am 05.08.2016 in Zwickau ein weiteres, abschließendes Seminar organisiert, an dem alle in Dresden Anwesenden teilnahmen. Dieses diente sowohl dem Zweck, eine Auswertung der vorangegangenen beiden Schulungskomplexe vorzunehmen, als auch um aktuelle Tendenzen und Probleme in den Gruppen des Suchtselbsthilfegruppen Zwickau e.V. selbst zu diskutieren.

Die Teilnehmer-/Innen brachten dabei übereinstimmend zum Ausdruck, dass in unseren Gruppen immer noch Wissensdefizite zu den behandelten Themengebieten bestehen und eine Weiterführung der Schulungen auch in den nächsten Jahren als notwendig empfunden wird.

 

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